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Carl Marschütz und die Hercules Werke

Die Entwicklung der Zweiradindustrie in Deutschland begann in Neumarkt bei Nürnberg. Carl Marschütz, Gründer der Hercules-Werke, bekam als 15jähriger eine "Draisine" geschenkt. Dieses Gefährt mit Holzreifen und Eisenrädern war sehr schwer zu bewegen, faszinierte den jungen Carl aber. Als 1880 ein Engländer mit seinem technisch überlegenen Veloziped auf einer Fahrt von London nach Wien in Neumarkt Station machte, bewunderte Marschütz das Gefährt. Mit Hilfe eines Darlehns über 286 Mark, von seinem Chef Josef Goldschmidt, kaufte er sich so ein englisches Howe-Veloziped mit Laterne.


Marschütz vertritt 1882 die Ofen- und Kochherdfabrik seines Chefs auf der Landesausstellung wo er den Mechaniker Eduard Pirzer kennen lernt. Pirzer stellte ein aus englischen Teilen hergestelltes Hochrad aus, was in Carl Marschütz den Gedanken für eine eigene Fahrradproduktion auslöste. Er bringt Pirzer und seinen Chef Goldschmidt zusammen, sodass wenig später in freien Werkstatträumen in Neumarkt Deutschlands erste Fahrradfabrik eingerichtet wurde. Die Velozipeds tragen den Namen "Express".

Nachdem der Fahrradpionier mit einem englischen Fachingenieur zusammen arbeitete und in England Teile einkaufte, übernimmt er eine Filiale mit Reparaturbetrieb. Doch diese Anstellung befriedigte den zweiundzwanzigjährigen nicht. Marschütz gründet am 5. April 1886 seine eigene Velozipedfabrik unter dem Namen "Marschütz & Co." – die späteren Hercules-Werke. Der Grundstein für die Nürnberger Zweiradindustrie war gelegt.

Was sich später zum führenden Unternehmen entwickeln sollte begann klein. In der Nürnberger Bleichstraße mietete Marschütz eine Werkstatt, in der er mit zehn Beschäftigten Velozipeds herstellte. Mit fünf, von einem Gasmotor angetriebenen, Werkzeugmaschinen wurden etwa 120 Fahrräder hergestellt. Anfangs waren es Hochräder mit dünnen Gummireifen. Ein Hochrad war zu dieser Zeit ein Luxusartikel und kostete 290 Mark. Marschütz´ Arbeiter verdienten 30 Pfennige in der Stunde. Außerdem waren Hochräder schwierig zu fahren, weil der Schwerpunkt des Fahrers gefährlich weit hoch und vorn lag. Deshalb musste jeder (Hoch)Radfahrer eine polizeiliche Prüfung bestehen. In Nürnberg absolvierte man dies auf einer Strecke zwischen Burg und Hauptmarkt. Ebenso war in dieser Zeit ein Nummernschild vorgeschrieben um flüchtige Radler nach Vergehen dingfest machen zu können (Anm. des Autors: heutzutage auch wünschenswert).

Marschütz machte sich Gedanken um die Sicherheit seiner Kunden. Auf seinem Fabrikgelände in der Bleichstraße richtete er eine Art Fahrschule für angehende Radfahrer ein. Doch der Andrang war zu groß um ihn auf dem kleinen Betriebsgelände zu bewältigen und so errichtete der Unternehmer in der damaligen Treustraße 9 (heute Schauspielhaus) das Hercules-Velodrom.

Den Fahrradpionier beschäftigten auch noch andere Gedanken. Das zweirädrige Fortbewegungsmittel muss sich vom Luxus- zum Gebrauchsartikel entwickeln. Nach Erfindung von Freilaufnabe und Übersetzungstechnik kommt das Niederrad in Mode und Marschütz kommt zum Entschluss, dass nur eine Massenproduktion der Schlüssel zum langfristigen Erfolg sein kann.

Nach einem Umzug (1893) in die Fürther Straße 61 wuchs die Belegschaft von 40 auf 146 Arbeiter, die Produktion konnte von 400 auf 3600 Räder im Jahr gesteigert werden. Doch auch diese Produktionsstätte wurde bald zu eng, sodass die Firma 1894 in einen großen Fabrikneubau in die Fürther Straße 191-193 umsiedelte. Der sich prächtig entwickelnde Betrieb wurde 1897 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, die 340 Arbeiter beschäftigte und 8.000 Fahrräder herstellte. Auch technisch war man auf dem neuesten Stand, die Produktionshallen zählten 135 Werkzeugmaschinen.

Fahrräder wurden preiswerter was auch auf Dumpingware aus Übersee zurückzuführen ist. Carl und sein Bruder Heinrich traten solchen Entwicklungen mit einem erweiterten Produktionsprogramm entgegen, wobei das Zweirad immer das Rückgrat bildete. So fertigte man beispielsweise Isolierrohre und Verteilerdosen für die Elektroindustrie.

Ein kurzes Intermezzo stellte die Automobilherstellung dar. Um die Jahrhundertwende (1900) baute Hercules Elektroautos die bis 1908 weiterentwickelt wurden. Das Endprodukt war mit Speichenrädern und Schlauchreifen ausgestattet, erreichte eine Geschwindigkeit von 40 Stundenkilometern und hatte eine Reichweite von 40 Kilometern. Die Akkumulatoren konnten nachts aufgeladen werden. Auch Lastwagen mit 14-PS-Zweizylindermotoren mit bis zu 60 Zentner Nutzlast wurden bis 1926 hergestellt. Nebenprodukte wie Rodelschlitten, Gliederstreckapparate und Stiefelputzmaschinen sicherten eine saisonunabhängige Auslastung der Produktionsanlagen. Mit dieser Produktpolitik gelang es, möglichst viele Arbeiter das ganze Jahr zu beschäftigen – in der damaligen Zweiradindustrie keineswegs üblich.

Wesentlich berühmter sind aber andere Produkte geworden: Hercules-Motorräder. Bereits seit 1900 beschäftigte sich Hercules mit der Entwicklung motorisierter Zweiräder. Das erste Serienfabrikat kam zwei Jahre nach der Triumph 1905 auf den Markt. Allerdings nutze man noch belgische FN-Motoren. Das Geschäft lief jedoch schleppend an und ein erster Boom setzte erst in den 1920er bzw. 1930er Jahren ein. Man setzte weiterhin auf die Fertigung von Fahrgestellen, die mit Fremdmotoren ausgestattet wurden, welche ab 1930 von Sachs kamen.

Die Nationalsozialisten beendeten die Karriere des Carl Marschütz. Er war Jude und musste nach Kalifornien emigrieren, die Hercules-Werke wurden "arisiert". Die Gebrüder Marschütz mussten ihre Aktien weit unter Wert abgeben. Durch den Zweiten Weltkrieg wurden die Produktionsstätten zu 80% zerstört und sogleich restlos ausgeplündert.

Nach Kriegsende lief die Produktion zwar wieder an und bescherte der Zweiradindustrie einen zweiten Boom, jedoch änderte sich das Bild rasch. Die Kleinwagen waren im Kommen, die Nachfrage nach Motorrädern ließ nach. Jetzt zahlte sich die seit 1905 bestehende Partnerschaft Hercules-Sachs aus. Da Hercules Motorräder im Motorsport sehr erfolgreich waren konnte man sich am Markt behaupten und durch die Übernahme durch Fichtel & Sachs begann für Hercules eine neue Ära. Bis Ende der 1970er Jahre lief das Geschäft trotz einiger Auf und Abs gut. Erst die Verschärfung der gesetzlichen Auflagen für Hersteller und Motorradfahrer bremste die Motorradindustrie. Traditionsreiche Marken verschwanden vom Markt. Die Hercules-Werke überlebten durch mehrere Besitzerwechsel. Zwar sind die Hercules-Motorräder vom Markt verschwunden, aber Hercules Fahrräder erfreuen sich nach wie vor großer Beliebtheit. Ein letztes hoffnungsvolles, motorisiertes Produkt war die 1987 wiederbelebte "Saxonette". Ein Fahrrad mit kleinem Hilfsmotor am Hinterrad, der bei Bedarf zugeschaltet werden konnte. Den Wiedereinstieg in die Motorradsparte konnte die Saxonette aber nicht einleiten.

Eigentümer der Hercules-Werke in den Nachkriegsjahren
1938 Arisierung durch die Nazis – Konrad Schmidt leitet die Firma
1941 Verkauf an die Fürther Firma Dr. Carl Soldan
1953 Soldan verkauft seine Anteile an die Dresdner Bank
1954 Unterhaltungselektronik-Unternehmer Max Grundig übernimmt die Firma
1963 Übernahme durch Fichtel & Sachs
1987 Übernahme durch die Mannesmann AG
1995 Verkauf an die niederländische Firmengruppe Atag
Der motorisierte Fertigungszweig wurde an das Tochterunternehmen des Mannesmannkonzerns "Sachs Fahrzeug- und Motorentechnik GmbH" verkauft.


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Die Aufnahmen enstanden während eines Treffens anlässlich "125 Jahre Hercules" im Museum Industriekultur (24.-26.06.2011).
Hercules Motorräder
Hercules Motorräder
Hercules Motorrad
Hercules Motorrad
Hercules Wankel 2000
Hercules Wankel 2000
Hercules Emblem
Hercules Emblem
Hercules K50 RL
Hercules K50 RL
Hercules Enduro
Hercules Enduro

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Hercules Emblem
Hercules Emblem

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Hercules
Hercules
Hercules Postgespann
Hercules Postgespann
Hercules Fahrrad 1951
Hercules Fahrrad 1951
Hercules Ultra II Lc
Hercules Ultra II Lc
Hercules JPS
Hercules JPS
Hercules K125 T
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Text: mw
Verwendete Literatur: BNN, NWM, IKN,SLN

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