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Zum Walfisch

Eine weitere legendäre Wirtschaft war die Lokalität "Zum Walfisch". Unter diesem Namen gab es in Nürnberg ehemals zwei Gasthäuser – eines in der Ludwigstraße 22, das andere in der Jakobstraße 19. Berühmtheit erlangte Letzteres in den 1920er Jahren unter dem Wirt Ludwig Hess.


In dem Anwesen auf der Lorenzer Stadtseite befand sich das Wirtshaus "Zur goldenen Rose", dass 1634 erstmals erwähnt wird. Ein Wirtshaus I. Klasse das angeblich aus einer seit 1609 bestehenden Gastherberge hervorging. Umbenannt wurde das Lokal wahrscheinlich 1863. Wie eingangs erwähnt hatte der Walfisch seine Blütezeit Anfang des 20. Jahrhunderts unter Ludwig Hess. Er etablierte den Walfisch als einen Treffpunkt für Künstler und Schauspieler. Laut Peter Luginsland (alias Hanns Schödel) war Hess "eines der profiliertesten Originale der Nürnberger Lokalgeschichte."

Luginsland beschreibt in seinem 1964 erschienenen Büchlein "Das war´n halt noch Zeiten!" das Treiben im Walfisch: "(...) Das Lokal hatte 6 bis 7 Tische und links neben der Türe saß ein Vorfahre des guten Karas: Herr Beyer mit seiner Zither. (...) Rechts neben der Türe stand ein gutes Klavier und vor dem Klavier hatte der Ludwig einen goldenen Bilderrahmen aufgehängt, der mit einem Vorhang anstatt des Bildes ausgestattet war. Neben allerlei Juxbildern und sonstigen Raritäten wie den elektrischen Stuhl oder das Große Fragezeichen oder den bewussten Riesenschlüssel für die Damen ging es dem Walfischwirt aber hauptsächlich um eine gute, kabarettistische Unterhaltung seiner Gäste ..." Auf alten Ansichtskarten von vor dem Ersten Weltkrieg ist zu erkennen, dass die Innenausstattung des Lokals aus allerlei skurrilen Kuriositäten bestand.

Hans Born, seines Zeichens Kellner im Walfisch, erzählte dem Peter Luginsland was es mit dem Vorhang auf sich hatte: "Im Walfisch ist es Usus und Sitte, so jemand diesen Vorhang lüftet, dass er eine Maß Bier bezahlt, mit dem Herrn Wirt anstößt, worauf sich die Maß zur Kapelle verrollt." Ein "Folterinstrument" der besonderen Art war der "Elektrische Stuhl". Es handelte sich um einen ganz normalen Stuhl, den Hess mit dem Rücken zum Publikum aufstellte. Während sich Hess und Born mit dem darauf sitzenden "Freiwilligen" unterhielten, wurde unter dem Sitzmöbel eine brennende Kerze in einer Blechbüchse positioniert. Irgendwann wurde es dem Sitzenden natürlich zu warm unter dem Allerwertesten, sodass er keine andere Wahl hatte als mit einem Schrei aufzuspringen. Unter dem hämischen Gelächter der Anwesenden musste das "Weichei" dann noch eine Runde ausgeben.

Ludwig Heß muss, laut Luginsland, auch ein begnadeter Sänger mit Baritonstimme gewesen sein. Allabendlich gab er Lieder wie "Old man river" zum Besten. Dabei saß er hinter dem goldenen Bilderrahmen und dank spezieller Beleuchtung sah die Szenerie dann wie ein Gemälde aus. Laut dem Chronisten machte "Hess aus dem Walfisch binnen kürzester Frist ein Lokal, das sich mit jeder Künstlerklause in Europa messen konnte."

Im Walfisch verkehrten vor dem Ersten Weltkrieg auch die Künstler des "Intimen Theaters", des Stadttheaters, sowie die Artisten des "Apollo". Peter Luginsland beschrieb den beliebten Walfischwirt folgendermaßen: "Ludwig Hess war ein sensibler, künstlerisch versierter Mensch, der nur gute Freunde in sein Inneres blicken ließ. Nachmittags saß er meistens in der Halle des nunmehr vom Erdboden verschwundenen Hotels Württemberger Hof und las alle vorhandenen Zeitungen. Abends um 19 Uhr begab er sich zu seinem Kollegen in die nahe gelegene "Schrez´n oder auch Gulaschhütt´n" genannt, um dort in aller Ruhe sein Abendessen einzunehmen und um 20 Uhr erschien er mit seiner Lederschürze und seinem Wams im Rahmen der Türe, um seine Gäste zu begrüßen. ..."

Der berühmte und beliebte Walfischbetreiber verstarb am 8. Februar 1932. Viele hundert Trauergäste gaben ihm ein letztes Geleit. Obwohl seine Nachfolger im Walfisch stadtbekannte Gastronomen waren, konnte oder wollte keiner "die Geister wachrufen, die einst den Walfisch berühmt gemacht haben." Das Lokal ging im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs unter, wurde aber wieder aufgebaut und unter gleichem Namen weitergeführt. In einem Stadtführer von 1953 (Nürnberg alt und neu) heißt es dazu:

"Auf eine rund 350 Jahre alte Vergangenheit kann der schon 1609 nachgewiesene und nach dem Krieg neuerstandene Walfisch in der Jakobstraße zurückblicken, eine Speisegaststätte mit Fremdenzimmern, in deren altem Bau viele bedeutende Künstler (Wilhelm Leibl, Konrad Dreher, Charlie Chaplin u. a.) zu Gast waren, dazu berühmte Männer aus Wissenschaft, Politik und Sport. Im Walfisch, also genannt seit 1863, ist der Humor zuhaus, sein Inhaber ist der als Büttenredner und Präsident der Nürnberger Trichter-Karnevalsgesellschaft bekannte Hans Brand. ..."

Auch der "Brunskartler", ein Nürnberger Original namens Schorsch Hofbeck, soll im Walfisch Stammgast gewesen sein, richtig mitspielen durfte er nie. Er war nur Ersatzmann, wenn einen der Kartler ein menschliches Bedürfnis drückte – er sprang dann in der Pinkelpause ein.

Die historische Bier- u. Weinschänke zum Walfisch, wie es auf einer Ansichtskarte heißt, existiert in der heutigen Nürnberger Wirtshauslandschaft nicht mehr. Dennoch ist in dem Anwesen Jakobstraße 19 weiterhin ein gastronomischer Betrieb ansässig.



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Text: mw
Fotos:
Verwendete Literatur: DWZ, NAN, NWG, SLN

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