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Zweiradindustrie in Nürnberg

Klangvolle Namen wie Hercules, Mars, Victoria und Zündapp lassen das Herz von Zweiradliebhabern höher schlagen. Die Entwicklung der deutschen Zweiradindustrie ist eng mit dem Namen Carl Marschütz verbunden – dem Gründer der späteren Hercules Werke. Nach bescheidenen Anfängen in Neumarkt/Opf. wo Marschütz mit zwei Kompagnons die erste Fahrradfabrik Deutschlands gründete, etablierte sich dieser Industriezweig rasch in Nürnberg. Die Pegnitzstadt wurde zur Hochburg der Zweiradindustrie. Die Deutsche Triumph-Fahrradwerke AG begann in der Hadermühle, die Mars Werke AG fertigten in Nürnberg-Doos und die Victoria-Werke AG war in Gleißhammer ansässig, Fritz Neumeyer (Zündapp) begann in der Lobsingerstraße. Auch der renommierte englische Hersteller The Premier Cycle Co. Ltd. aus Coventry betrieb in Nürnberg eine Filiale.


Carl Freiherr Drais von Sauerbronn entwickelte Anfang des 19. Jh. eine Laufmaschine, die "Draisine" – ein Gefährt mit Holzrädern und Eisenreifen, dass seinem Erfinder aber wenig Glück einbrachte, obwohl seine Fahrt von Mannheim nach Schwetzingen in der Karlsruher Zeitung Beachtung fand. Als der Freiherr starb wurde der Vorläufer des Fahrrads von amtlicher Seite mit drei Gulden bewertet – später kaufte es die Stadt Karlsruhe zähneknirschend für 500 Goldmark zurück.

Die ersten "tauglichen" Fahrräder kamen aus England und galten als Maßstab für die Produkte der aufstrebenden Nürnberger Industrie. Sie waren nicht nur schwer, sondern auch sehr teuer. In einer Gazette hieß es sie wären von: (...) derart massiger Form, dass der Fahrer oft nicht mehr wog als sein Stahlroß. Der Preis eines solchen Rades stand dem Gewicht nicht viel nach, und nur die >upper ten thousand< und wirklichen Sportsleute konnten sich den Luxus eines solchen Vehikels leisten".

Fast ein Viertel Jahrhundert später heißt es in einem Werbeartikel zu Bayerns Industrie: "Das Fahrrad ist heute das populärste Verkehrsmittel geworden; durch seine Billigkeit ist es dem kleinen Manne und speziell dem Arbeiter zugänglich. Tausende von Leuten, die ihren Erwerb in der Stadt suchen, beleben abends die Verkehrsstraßen nach den Vororten, um dorten ihr billigeres und gesünderes Heim aufzusuchen".

Das Fahrrad hatte sich also unter Federführung der Nürnberger Industrie vom Luxus- zum Gebrauchsgegenstand entwickelt. Die Pegnitzstadt war aber nicht nur Hochburg der Herstellung, auch der Radsport entwickelte sich prächtig. Um 1890 gab es bereits über 50 Radsport- und -tourenvereine. Max Ottenstein einer der Mitbegründer der Victoria-Werke war Mitglied des im Jahr 1881 gegründeten "Velozipedclubs". Zusammen mit Max Frankenburg begann er 1885 mit der Zweiradproduktion. Die ersten Produkte entstanden noch nach englischem Vorbild, wurden aber nach einigen Jahren durch Eigenkonstruktionen abgelöst. Die Käufer erhielten als Dreingabe eine Tüte Knallerbsen zur Abwehr rabiater Straßenhunde.

Um 1900 war die Entwicklung vom Hoch- zum Niederrad abgeschlossen und das Radfahren entwickelte sich zum Volkssport. Die technischen Fortschritte ermöglichten jetzt auch älteren Leuten die Benutzung des neuen Fortbewegungsmittels, selbst Ärzte empfahlen das Radeln als Diät-Therapie. Carl Marschütz ließ als "Fahrschulgelände" das Hercules-Velodrom hinter dem Opernhaus errichten.

Die Technik entwickelte sich rasch im Zeitalter der Industrialisierung. Die Motorisierung hielt auch in der Fahrradindustrie Einzug – Motorräder wurden entwickelt. Das älteste deutsche Fabrikat kam 1903 von den Triumphwerken. Auch die 1898 gegründeten Mars-Werke stellten bald "Motorzweiräder" her. "Das Motorrad für Jedermann" wurde 1921 von dem ehemaligen Rüstungsbetrieb Fritz Neumeyer vorgestellt. Es war die "Z 22" aus den Zündapp-Werken, eine getriebelose Maschine mit Zweitaktmotor und Riemenantrieb.

Einen richtigen Boom erlebte die Zweiradindustrie erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Doch warum kam dieser Gewerbezweig nicht richtig in Schwung – waren doch die genannten Firmen Pioniere in der Zweiradherstellung? Einerseits war die Fortbewegung auf motorisierten Zweirädern nach 1900 immer noch Luxus, andererseits mögen die schlechten Straßen und die technische Anfälligkeit Gründe gewesen sein. 1910 besaßen in Nürnberg von rund 330.000 Einwohnern gerade 184 ein Kraftrad. Die Motorradherstellung war für die Zweiradhersteller vor dem Ersten Weltkrieg meist nur ein Nebenerwerb. Fahrräder beherrschten weiterhin den Individualverkehr


Zündapp-Werke

Die Zündapp-Werke GmbH (Zünder- und Apparatebau GmbH) wurden von dem Nürnberger Industriellen Fritz Neumeyer, der Krupp AG und der Firma Gebr. Thiel am 17.09.1917 als Rüstungskonzern gegründet. Nach dem Ausscheiden der Partner führte Neumeyer den Betrieb alleine weiter. Das Erfolgsmodell "Z 22" wurde bis 1924 zehntausendmal verkauft. Die Produktion war bereits auf Fließbandanfertigung umgestellt, die Herstellung auf vier Standorte verteilt. Der 1928 errichtete Neubau in der Dieselstraße wurde als modernste Motorradfabrik der Welt bezeichnet. Zündapp hatte vor dem Zweiten Weltkrieg einen Marktanteil von 16% und fertigte nicht nur Zweiräder. Die Produktpalette umfasste Flugmotore für Sportflugzeuge und nach 1940 auch Kleinpanzer für die Wehrmacht. Da die Fabrikanlagen im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört wurden, begann man nach Kriegsende vorerst mit der Produktion von Haushaltsnähmaschinen und Mühlentechnik. Doch die Nachfrage nach motorisierten Fortbewegungsmitteln stieg, sodass 1947 die Motorradproduktion wieder aufgenommen werden konnte. Neben den schweren Zündapp-Maschinen war der Bella-Roller ein Verkaufsschlager. Die Zweiradindustrie boomte bis 1955 und wurde schließlich von der Kleinwagenindustrie verdrängt. Der von Zündapp entwickelte Klein(st)wagen "Janus", heute bei Sammlern und Liebhabern begehrt, erwies sich als nahezu unverkäuflich. Die Zündapp-Werke gerieten in Schieflage. Der Sanierungsplan von 1958 sah die Aufgabe des Motorrad-, Auto- und Nähmaschinenbaus und die Verlegung des Firmensitzes in das 1950 gegründete Werk in München vor. Dort wurden nur noch Mopeds und Leichtkrafträder produziert. Die Erfolgskurve zeigte in den folgenden Jahren immer wieder ein Auf und Ab. In den 1980er Jahren musste die Belegschaft aus betriebswirtschaftlichen Gründen um die Hälfte reduziert werden, ohne Erfolg. Zündapp meldete 1984 Konkurs an. Die Produktionsanlagen wurde nach China verkauft.


Triumph-Werke

Siegfried Bettmann gründete 1896 zusammen mit dem Bankhaus Josef Kohn, dem Kaufmann Sigmund Adelung sowie Eduard Hass und Julius Beißbarth die "Deutsche Triumph Fahrradwerke AG". Anfangs wurde in der Hadermühle produziert, ehe man 1897 in einen Neubau an der Fürther Straße umzog. Das älteste deutsche Serienmotorrad wurde 1903 von den Triumphwerken präsentiert. Nachdem 1909 die Norica-Schreibmaschinenwerke übernommen wurden, änderte man 1911 den Firmennamen in "Triumph Werke Nürnberg". Die Zweiradproduktion trat in den Hintergrund, die Schreibmaschinenproduktion wurde jedoch auf- und ausgebaut. Das Unternehmen wurde ständig erweitert und 1917 um Munitionsfabrikation ergänzt. Den Motorradbau nahm man 1919 wieder auf, verfolgte ihn aber nach dem Zweiten Weltkrieg nicht weiter.


Victoria-Werke

1886 gründeten Max Ottenstein und Max Frankenburger die "Frankenburger & Ottenstein OHG" in Gleißhammer. Man begann mit der Herstellung von Hochrädern nach englischem Vorbild. Nach dem Umzug in die Ludwig-Feuerbach-Straße (1890) wurden sehr erfolgreich Niederräder hergestellt. Die Umbenennung in "Victoria-Fahrradwerke AG" erfolgte im Jahr 1895, gefolgt von "Victoria-Werke AG" 1899. Auch Victoria hatte unter der Zweirad-Absatzkrise zu leiden, sodass man die Produktpalette um 1900 mit der Fertigung von Buchdruck-Schnellpressen ergänzte. Dieser Geschäftsbereich wurde 1906 wieder aufgegeben. Die Victoria-Werke präsentierten 1901 ein motorgetriebenes Fahrrad – der Grundstein für den späteren Motorradbau. Eher ein Intermezzo war die Automobilherstellung zwischen 1905 und 1912. Im Dritten Reich musste auch Victoria auf Rüstungsbedarf umstellen. Das im Aufbau befindliche Zweigwerk in der Nopitschstraße, sowie das bisherige Firmengelände wurden während des Zweiten Weltkriegs zu 80% zerstört. Nach Kriegsende begann man vorerst mit der Herstellung von Küchengeräten, 1946 wurde der Motorradbau wieder aufgenommen. Das neue Fabrikgelände in der Nopitschstraße 70 konnte 1953 bezogen werden. Die folgende Absatzkrise machte 1958 einen Zusammenschluss zur Zweirad-Union mit den Expresswerken (Neumarkt) und DKW (Ingolstadt) erforderlich.


Ardie-Werk

Die älteste Spezialfabrik für Motorräder wurde 1919 von Arno Dietrich gegründet. In dem Firmensitz an der Fürther Straße 83/85 fertigte man das erste Modell, die "Minimax". Nachdem Arno Dietrich 1922 durch einen Motorradunfall ums Leben kam, wurde das Unternehmen von seiner Witwe weitergeführt und in eine GmbH umgewandelt. Nachfolgend übernahm Leo Bendit die Ardie-Werk GmbH. Unter dem NS-Regime ging die Firma an die Familie Barthel, den Besitzern der "Dürkopp-Werke" in Bielefeld. Im Hinblick auf mögliche Rüstungsaufträge wurde die Produktion von Sportmaschinen auf geländetaugliche Krafträder umgestellt. Wie alle anderen Hersteller auch, war das Ardie-Werk ebenfalls von der Absatzkrise 1958 betroffen – die Motorradproduktion musste eingestellt werden. Das Werk wurde 1978 von der Erlanger Firma Frieske & Hoepfner übernommen.


Mars-Werke

Den Einstieg in die Zweiradproduktion wagte der Ofenfabrikant Paul Reißmann 1898 in Nürnberg-Doos. Die bisherige Firmenbezeichnung "Mars-Fahrrad-Werke und Ofen-Fabrik AG" wurde nach dem Verkauf der Ofenproduktion 1906 aufgegeben und Reißmann firmierte fortan als "Mars-Werke AG". Die Fahrradproduktion musste 1909 wegen Unrentabilität wieder eingestellt werden. 1920 wurde Adolf Jacobowitz, ein Jude polnischer Abstammung, Direktor der Mars-Werke. Im selben Jahr gelang mit der Präsentation der "Weißen Mars" der Wiedereinstieg in die Motorradproduktion. Das Aktienkapital ging im Zuge der Arisierung nach und nach in nichtjüdische Hände über. Ab 1936 war Baron von Seydlitz Direktor und Hauptaktionär des Betriebes. Auch die Mars-Werke partizipierten in den Nachkriegsjahren am Motorradboom. Das erste Moped wurde 1955 präsentiert. Wie bei den anderen Zweiradherstellern auch machte sich die allgemeine Absatzkrise bemerkbar, sodass 1958 Konkurs angemeldet werden musste. Der Markenname "Mars" ging an das Versandhaus Quelle.


Hercules-Werke

Carl Marschütz gründete 1886 in der Nürnberger Bleichstraße eine Fahrradwerkstatt unter dem Namen "Carl Marschütz & Co". Bevor die Firma in die Fürther Straße 191-193 umzog war sie kurzzeitig in der Fürther Straße 61 ansässig. Der Markenname "Hercules" wurde 1895 eingeführt. Fahrradpionier Marschütz fertigte bereits 1896 mit rund 250 Beschäftigten 6.500 Fahrräder pro Jahr. Das "Hercules-Velodrom", eine Art Radfahrschule und einer der größten Veranstaltungsorte Nürnbergs, wurde 1898 errichte. Um 1900 begann Hercules bereits mit der Entwicklung von Motorrädern und war nach dem Ersten Weltkrieg Marktführer. Auch Carl und sein Bruder Heinrich Marschütz mussten im Zuge der Arisierung ihre Aktien weit unter Wert abgeben. Die Führung des Unternehmens ging an Konrad Schmidt. Die Firma Dr. Carl Soldan übernahm den Betrieb 1941, verkaufte aber ihre Anteile 1953 an die Dresdner Bank. Ein erneuter Besitzerwechsel erfolgte 1954. Max Grundig kaufte die Hercules-Werke zusammen mit Triumph. Weiterverkauft wurde das Traditionsunternehmen 1963 an die Firma "Fichtel & Sachs", die Immobilie an der Fürther Straße ging an das Versandhaus Quelle, die Fertigung wurde in die Nopitschstraße verlegt. Eine weitere Übernahme durch die Mannesmann AG erfolgte 1987. Seit 1995 gehören die Hercules-Werke zur niederländischen Firmengruppe "Atag". Der motorisierte Fertigungszweig wurde an die "Sachs Fahrzeug- und Motorentechnik GmbH" verkauft, der nichtmotorisierte Teil ging als "Hercules Fahrrad GmbH" an die Holländer.


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Text: mw
Fotos:
Verwendete Literatur: DGK, NWM, SLN

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